5’006 Kilometer in 28 Tagen, 36’207 Höhenmeter, 605’693 Pedalumdrehungen, 207.5 Stunden, acht Reifenpannen, 2’861 Franken, 167 Liter Wasser – bis zu 9.5 Liter pro Tag. Ein Ferienerlebnis der etwas anderen Art, für einen guten Zweck.
Simon Infanger spielt mit Zahlen, um die Dimension seines Projekts zu verdeutlichen. Sie demonstrieren eindrücklich, was er diesen Sommer geleistet hat. Durchschnittlich 178 Kilometer ist er mit seinem Fahrrad täglich gefahren, um sein Ziel zu erreichen: das Nordkap. In insgesamt 28 Etappen, die kleinste 80, die längste 250 Kilometer lang. Start war an der Bleicherstrasse 19 in Luzern.
Mehrere Gründe führen zum Nordkap
«Ich reise sehr gerne, bin aber nicht der Typ, der am Strand herumliegt. Mir gefällt es einfach, auf meinen Reisen vorwärtszukommen.» Simon Infanger wohnt seit einem Jahr in einer Wohngemeinschaft an der Bleicherstrasse 19 in Luzern. Er fühlt sich wohl dort. Die Wohnung ist zentral gelegen, nahe beim Bahnhof. Der bewusste Verzicht auf ein Auto ist da naheliegend. Sport hat ihn schon sein Leben lang begleitet. In letzter Zeit wurde das Radfahren immer wichtiger. Die Reiselust und der sportliche Aspekt waren jedoch nicht die einzigen Gründe, warum er auf die Idee gekommen ist, zum Nordkap zu fahren. Als Marketingfachmann hat er bisher ausschliesslich für Kunden Projekte umgesetzt. Jetzt wollte er mal von A bis Z sein eigenes Projekt durchziehen und schauen, wie das klappt. Nicht zuletzt ist auch ein sozialer Aspekt mit hineingeflossen. «Schön, dass ich das alles mit einem guten Zweck verbinden konnte. Mit Viva con Agua habe ich nicht nur ein tolles Projekt gefunden, für das ich sammeln wollte, sondern auch einen professionellen Partner mit vielen Beziehungen weltweit und guter Organisation.» Viva con Agua ist vom ehemaligen deutschen Profifussballer Benjamin Adrion des FC St. Pauli ins Leben gerufen worden. Die Institution sammelt mit verschiedenen Aktionen Geld für die Realisierung von Wasserprojekten in der ganzen Welt, um den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen.
Mehrere Herausforderungen
«Project5000», wie Simon Infanger sein Unterfangen nennt, hatte es in sich. Das Ziel, die 5’000 Kilometer alleine mit dem Fahrrad zu bewältigen, war hochgesteckt. Neben der sportlichen Leistung, die von ihm körperlich sehr viel abverlangt hat, forderte die Organisation der Reise viel Denkarbeit. Gepäck, Kleider und Reservematerial mussten mit insgesamt acht Postpaketen von Hotel zu Hotel gesendet werden. Dabei galt es, im Voraus akribisch genau zu planen: Wie lange Strecken sind täglich zu absolvieren? Wo stehen in weniger besiedelten Gebieten Unterkünfte? Wie viele Reserveschläuche braucht es? Wo befinden sich Fachgeschäfte für Fahrräder? Wo werden welche Temperaturen herrschen? Welche Materialien sende ich wann wohin? Einer weltweit tätigen und erfahrenen Transportfirma gefiel Simon Infangers Idee so gut, dass sie ihm eigens einen Experten zur Seite gestellt hat, der ihm beim Planen half. «Es ist schlussendlich alles gut aufgegangen. Gewisse Stationen waren einfach, knifflig wurde es dann in Gebieten, wo sich weit und breit kein Dorf, kein Haus, demzufolge auch wenige Hotels befanden.»
Mehrere Rentiere und Elche
Solch verlassene Orte, fernab der Zivilisation waren es auch, die Simon Infanger sehr beeindruckten. Auf den kilometerlangen, geraden und einsamen Strassenabschnitten traf er oft tagelang keinen Menschen, kein Auto an. «An solchen Orten habe ich zum ersten Mal erfahren, was echte Stille bedeutet. Bei uns in den Bergen ist es natürlich auch ruhig. Doch immer ist ein Flugzeug oder das Rauschen eines Baches zu hören. Das dort war etwas ganz anderes. Ausser meinem eigenen Atmen war nichts zu hören.» Beeindruckend war auf seiner Reise auch, wie die Menschen auf ihn reagiert haben. Beispielsweise der Herr, der ihn mitgenommen hat, als er an einem Tag gleich drei platte Reifen zu beklagen hatte. Er fuhr ihn nicht nur zu seiner nächsten Schlafstation, sondern begleitete ihn auch zum Fahrradladen, damit er neue Schläuche kaufen konnte. War die Gegend menschenleer, begegnete er oft Rentierherden oder Elchen. «Das waren wunderschöne Momente. Die Tiere querten seelenruhig die Strasse, ohne sich um mich zu kümmern.»
Eine Woche Angewöhnungszeit
Auf die Frage, wie man sich als Berufstätiger auf eine solche Reise vorbereitet, kommt die Antwort relativ schnell: «Zum Beispiel mit dem Rad zur Arbeit nach Hünenberg fahren und Joggen gehen, so oft es geht. Als kleinen Test habe ich eine Fahrt von hier nach Paris gemacht, mit Gepäck.» Ob das Training dann auch tatsächlich reichen würde, während vier Wochen eine solche Belastung auszuhalten, habe er natürlich nicht gewusst. Er habe sich schon auch gefragt, wie Körper und Geist reagieren würden. «Werde ich die Einsamkeit aushalten? Werde ich halluzinieren? Wie wird mein Körper mitmachen? Das herauszufinden, war Teil des Projektes. Die erste Woche war schwer. Aber dann hat sich der Körper an die Belastung gewöhnt, sie wurde sozusagen normal. Gegen die Langeweile habe ich ab und zu auch Musik gehört oder versucht, mental abzuschalten. Es war manchmal wie meditieren.» Nach rund vier Wochen Reise war es dann so weit. Simon Infanger hat am 11. August 2013 das Nordkap erreicht. Die letzte Etappe zum Kap war sehr happig. Kilometermässig zwar die kürzeste Strecke, aber sehr hügelig. «Und plötzlich war die Strasse vor mir fertig. Kurz danach ging es rund 200 Meter eine Klippe hinunter.» Simon Infanger war am Ziel angelangt. Nach so langer Zeit der Einsamkeit ein wenig irritiert ob den zahlreichen Gruppen, die aus Cars ausstiegen, ein paar Fotos machten, sich nebenan im Shop mit Souvenirs eindeckten, wieder einstiegen und wegfuhren. «Dennoch schaffte ich es, den Moment für mich zu geniessen.»
Mehrere Spenden und doch nicht genug
In der Zeit vor, während und nach dem Trip zum Nordkap hat Simon Infanger fleissig die Werbetrommel gerührt und über Webseite, Facebook und mit Flyern auf sein Wagnis aufmerksam gemacht. Sein Ziel, pro gefahrenen Kilometer einen Franken zu sammeln, ist bisher noch nicht erreicht. Mit 2’861 Franken ist er aber schon weit gekommen. Und zwei etwas grössere Beträge von Firmen sind gesprochen, aber noch ausstehend. Trotzdem kann das Projekt noch den einen oder anderen Zustupf gebrauchen. «Und wenn es sogar mehr als die gewünschten 5’000 Franken werden, so freut das eine Region, die keinen Zugang zu frischem Wasser hat, umso mehr.» Übrigens: Simon Infanger hat für seine Reise mit Ausnahme einer Übernachtung im Hotel, die gesponsert worden ist, jeden Franken aus seiner eigenen Tasche bezahlt. Das heisst: Jeder gespendete Franken geht direkt ins Projekt.