Der 30-jährige Luzerner ist von zuhause ans Nordkap geradelt. Nun hat er ein Buch dazu veröffentlicht
VON RONNIE ZUMBÜHL
Simon Infanger gehört zu den Menschen, die direkt von einem Heavy-Metal Festival in Deutschland via London und Helsinki für eine Studienreise nach Kilpisjärvi, Lappland, fliegen. Einer, der die Komfortzone gerne mal verlässt. Drei Jahre nach dieser Studienreise ging der Luzerner wieder in den Norden – nun aber ganz nach oben ans Nordkap. Und dieses Mal nicht Flugzeugsessel-fläzend, sondern auf dem Velosattel strampelnd. Von Luzern aus. 5000 Kilometer – er und sein Fahrrad. Als wäre das nicht schon genug Herausforderung, nahm er sich zum Ziel, das Nordkap innerhalb eines Monates zu erreichen.
1 989 432 Herzschläge
Das war vor vier Jahren, nun hat der heute 30-Jährige ein Buch mit dem Titel «Wie ich aus Versehen Extremsportler wurde» dazu veröffentlicht.
Ein Versehen war es eigentlich nicht: Obwohl Simon Infanger keine Ahnung hatte, wie er sich nach drei Wochen fühlen würde, plante der studierte Betriebsökonom das Projekt nahezu akribisch: buchte Hotels, berechnete Routen, stellte ein Budget auf und verwarf wiederum Ideen. 18 Monate bereitete er sich vor. 400 Stunden trainierte er für das Abenteuer – unter anderem mit einer Tour nach Paris.
Solche und weitere Zahlen liefert Simon Infanger in seinem Buch. Frappant sind vor allem Daten wie diese: 1 989 432 Herzschläge, 51 044 Kalorien und 605 893 Pedalumdrehungen hat er auf der Strecke gelasssen. Cool und lakonisch meint er zu seinem Buch: «Eigentlich ist es ein Word-File, schön dargestellt.» Ganz so emotionslos sieht er sein Buch dann aber doch nicht: Er ist froh, mal etwas Handfestes in den Händen zu halten. Zudem gefällt ihm die Vorstellung, dass er das Buch einmal seinen Nachkommen präsentieren kann.
«Du machst einfach weiter»
Das Buch ist ein klassischer Ratgeber. Simon Infanger will anderen helfen. Er will, dass sie ihre Träume erfüllen und ihre Angst und Bequemlichkeit überwinden. Seine Reise ans Nordkap hat ihn geläutert: Er sei heute entspannter, geduldiger und selbstsicherer. «Es gibt heutzutage wenige Aufgaben, die ich mir nicht zutraue», sagt der Onlineexperte.
Auf der Tour hat er sich abgekämpft und Grenzen ausgelotet. Seine Etappenziele waren vordefiniert, er musste durchhalten. Denn sein Gepäck hatte er nicht dabei, es wurde von Hotel zu Hotel, von Etappenstopp zu Etappenstopp geschickt. Es sei eine Durchhalteübung gewesen, wie er sie aus alten Militärgeschichten von seinem Grossvater kenne. Eine Route in Schweden habe er beispielsweise unterschätzt – zu wenig Nahrung, zu viele Hügel. Er sei am Abend richtig abgekämpft im Hotel angekommen. «Auf dem Weg zum Zimmer habe ich mich an den Wänden abstützen müssen.» Nach dem Nachtessen bloggte Simon Infanger über seinen Tag, dann ging er schlafen. «Am nächsten Tag sitzt du aufs Velo und machst weiter», meint er salopp. Er lebte in einem Film: «Ab der dritten Woche hatte ich keine Lust mehr, mit den Leuten zu reden.» Er sei in einer Art meditativen Phase gewesen. «Du trampsch nurnu und hesch kei Gedanke meh.»
Der Alltag war weit zurück. «Ich habe angefangen, mich auf Gerüche zu konzentrieren, und habe die Umwelt viel intensiver wahrgenommen.» Dem Ziel entgegen musste er «durchbeissen». Dazu hörte er Hardstyle- und Electro-Musik. Musikstile, die für ihren schnellen, pumpenden Takt bekannt sind – passend zu seinem pumpenden Herzen. Kurz vor dem Ziel blinkte auf dem Display die Warnanzeige «Herzfrequenz zu hoch» auf. Simon Infanger ging an seine körperlichen Grenzen. «Ich wollte schauen, zu was mein Körper fähig ist.» Nach 28 Tagen reiner Fahrzeit und 8 platten Reifen kam er in Tromsø an. Rund 170 Kilometer ist Simon Infanger damals täglich auf dem Rad gefahren. Heute, vier Jahre danach, meint er ehrgeizig: «Ich hätte pro Tag mehr fahren können.»
Der Luzerner nimmt wieder an Amateurrennen teil. Ambitionen für den Profi-Sport hatte er nie. «Für das bin ich zu wenig gut.» Auch grössere Abenteuer hatte er die letzten Jahre nicht mehr auf dem Plan. «Ich verbringe zurzeit gerne etwas mehr Zeit mit der Freundin.» Einmal Blut geleckt, ist es als Abenteurer aber schwierig, in der Komfortzone zu verharren. Deshalb möchte er dieses Jahr wieder eine längere Distanz hinter sich bringen. 4000 Kilometer will er im Sommer fahren – von Belgien bis nach Griechenland.