Heute sollte der letzte Tag sein, an welchem ich in den Norden fahre. Das Ziel heisst Nordkap. Doch es wollte auch verdient werden.
Eines Vorweg: Nur weil ich jetzt am Nordkap bin, ist die Reise noch nicht fertig. Das Nordkap ist nur ein Zwischenziel. Die härtesten und letzten 3 Tage folgen noch. Wenn jemand mir gratulieren möchte, kann er/sie dies gene tun, wenn ich am nächsten Mittwoch, die ganzen 5000 Kilometer gefahren bin.
Am Morgen schlief ich erstmals ein wenig aus. Und trotzdem fühlte ich mich irgendwie nicht erholt. Der Körper ist zu belastet, um sich einfach normal entspannen zu können. Egal. Klagen kann ich wieder, wenn ich zuhause bin. Nach dem Morgenessen folgte der grosse Dämpfer: Wie bei jeder Etappe habe ich im Vorfeld Pakete ins Hotel geschickt. Das Paket heute beinhaltete all jene Sachen, welche ich ans Nordkap mitnehmen wollte sowie Ersatzkleider. Da ich wusste, dass ich am Wochenende ankomme, bat ich das Hotel, das Paket bei der Post abzuholen (geschätzte 2 Minuten zu Fuss). Obwohl ich das Hotel über den Inhalt im Vorfeld und über die Wichtigkeit genau informiert habe, waren sie nicht im Stande innerhalb von 14 Tagen das Paket entgegenzunehmen. Zu ihrem Glück war ich zu erschöpft, um ihr die Leviten zu lesen und schwang mich nach einer kurzen Diskussion aufs Rad.
Wer mich kennt, weiss dass es sehr viel braucht, bis ich wütend bin. Doch heute morgen war ich es. Vielleicht war es nicht die Wut, über die Inkompetenz sondern mehr die Enttäuschung, dass Monate der Vorbereitung an der Faulheit einer einzelnen Person scheitern können. So fuhr ich gedankenvertieft nach Norden und wurde bald von der Realität eingeholt. Zum Nordkap waren es nur etwas mehr als 30 Kilometer. Also eigentlich nicht erwähnenswert, wenn da nicht diese Berge dazwischen wären. Nach nur etwa 6 Kilometern folgte eine Bergetappe, welche alles auf der Tour bisher in den Schatten stellt. Mit bis zu 12% stieg die Strasse in den Himmel. Nach einer Stunde standen bereits 600 Höhenmeter auf dem Display. Mit dem habe ich wirklich nicht gerechnet.
Irgendwann tauchte am Horizont hinter gefühlten 20 Hügeln das auf, was ich anstrebte: das Nordkap. Es kam mir vor, als wäre es ein Rennen in den Norden. Nachdem ich jetzt etwa 3 Wochen lang gemütlich unterwegs war, brausten jetzt alle Arten von Touristen auf Motorrädern, in Autos, Bussen oder gar Trucks an mir vorbei. Anhand des Abstands, mit welchem sie mich überholten, konnte ich jeweils schon ihre Herkunft vorhersagen. Je Nördlicher, desto mehr Abstand, je südlicher und östlicher, desto respektloser wurde ich überholt.
Und dann war es soweit: Die Strasse, welche mich von Luzern bis in den Norden Europas führte, war zu Ende. Vor mir nur noch Kies, eine Absperrung, geschätzte 300 Meter Klippen und dann das Polarmeer. Keine Insel, kein Land nur noch Wasser von links bis rechts. Ich brauchte zuerst ein paar Minuten, um an dem Ort anzukommen. Und als ich so den endlosen Blick über das Polarmeer schweifen liess, kullerten plötzlich Freudentränen die Wangen runter. Ich genoss den Moment, bis ich von einigen Touristen gestört wurde, die mich fragten, ob ich mit dem Velo da bin. Angesichts dessen, dass ich fast noch auf dem Velo sass, musste ich mich ein wenig zusammenreissen, um eine seriöse Antwort zu geben 🙂 Viele Touristen beglückwünschten mich und waren erstaunt über die Leistung. Einen kurzen Moment fühlte ich mich, als hätte ich etwas grosses geschafft. Also drückte ich einem freundlichen Mann meine Kamera in die Hand und machte dies, was im Web 2.0-Zeitalter alle machen: vor einem Denkmal posieren, dass man es nachher auf Facebook stellen kann. Ich machte es natürlich nur für den Blog, damit ihr wisst, dass ich auch da war 🙂
Es folgte der bergige Rückweg nach Honningsvåg. Zum ersten Mal ging die Reise in den Süden. Irgendwie ungewohnt, die Sonne plötzlich an einem anderen Ort zu haben, als man es sich gewohnt ist. Nun kurz “relaxen” bevor morgen die Tour der Gegensätze folgt: der Himmel für die Sinne, die Hölle für die Muskeln…
Tag 25: Honningsvåg – Nordkap – Honningsvåg