Paris 48 – Nochmals auf die Zähne Beissen

Paris – Luzern (ca 650 km) in unter 48 Stunden. Soweit ist der Plan. Gestern habe ich 358 km zurückgelegt. Nun kommt heute das Dessert.

Der Wecker klingelt früh. Da ich jedoch super im Zeitplan bin, gönne ich mir noch eine Stunde. Es ist kurz nach Sonnenaufgang. Meine Kleider sind vom gestrigen Tag immer noch feucht. Ich habe zwar mit Heizung und Föhn probiert, die Kleider zu trocknen, doch wirklich angenehm ist es nicht. Ich habe keine andere Wahl und ziehe die kalten Sachen an. Draussen regnet es. Das kann ja heiter werden.

Zeit seit Eiffelturm: 33 Stunden 9 Minuten

Frühstück gibt es nicht. Auf einem langen graden Anstieg packe ich meinen letzten verbleibenden Energieriegel aus und spühle ihn mit Wasser runter, welches ich mir im Hotel gekauft habe.

Die Strecke ist wellig, so komme ich nicht wirklich in einen richtigen Fahrrythmus. Dazu kommt der Wind. Ich komme schleppend voran. Mein Garmin Edge 810 hat noch 2% Akku (trotz den 358 Kilometern gestern). Leider hat gestern im Dauerregen auch mein wasserdichtes Smartphone ein wenig Wasser erwischt, das Display ist beinahe unleserlich dunkel. Dort habe ich als Backup fürs Velo-Navi das Kartenmaterial drauf. Ich hoffe, dass dies sich noch ein wenig verbessert, ansonsten habe ich ein ernsthaftes Problem.

Bei den Ortsschildern fällt mir auf, dass die Franzosen das “sur” und “sous” (auf Deutsch z.B. Oberägeri / Unterägeri) ganz clever beschriften. Sie haben einfach einen Strich mit einem s. Je nachdem, ob das s über dem Strich ist, ist es ein “sur”, darunter ein “sous”.

Bildergebnis für sur sous street sign

Die ersten zwei Stunden sind anstrengend. Meine Beine sind müde und fühlen sich durch die Nässe komplett entkräftet an. Meine Füsse sind komplett durchgefrohren, ebenso meine Hände in den nassen Handschuhe. Kuschlig ist anders, doch ich weiss, dass es jetzt tendenziell wärmer wird (viel kälter als die 8 Grad jetzt kann es ja nicht werden). Trotzdem wird meine Kleidung heute wohl nicht mehr trocknen. In Montbéliard kaufe ich mir dann in einer Bäckerei zwei Buttergipfel, damit ich doch was zum Frühstück habe.

Kurz darauf fahre wieder einem Kanal entlang. Wieder auf wunderschönen Radwegen. Und plötzlich habe ich sogar ein wenig Rückenwind. Das macht den Regen doch einiges erträglicher. Und wie ich so am Kanal entlang fahre, fahre ich plötzlich über eine Wasser-Brücke. Da kreuzt ein Fluss einen anderen. Sowas hab ich noch nie gesehen:

Ich folge dem Kanal die nächsten etwa 30 Kilometer und begegne vielen Fischern, welche sich das Regenwetter zunutzen machen. In Valdieu-Lutran fahre ich einer Schleusentreppe entlang, bei welchen insgesamt 12 Schleusen hintereinander sind. Hier ist die Wasserscheide zwischen Rhein und Rhône.

Zeit seit Eiffelturm: 37 Stunden 27 Minuten

Von da an geht es auf Hauptstrassen hügelig weiter Richtung Schweiz. Mental habe ich ein wenig eine Kriese, die Nässe und Kälte setzt dem Geist zu. Häufig muss ich gähnen. Es hat zwar aufgehört zu regnen und es wird tatsächlich ein wenig wärmer (auf dem Display stehen jetzt schon 10 Grad), doch wirkliches Radwetter ist es halt dann doch nicht. So beginne ich im Kopf mich mit anderen Sachen zu beschäftigen. Ich spreche mit mir auf französisch und beschreibe was ich so sehe. Und währenddem ich dies tue, fällt mir plötzlich auf dass “il pluit” (es regnet) genau den Laut nachmalt, den der Regen eigentlich macht (das Tropfgeräusch). Ich erinnere mich an eine Diskussion, bei welchem mir ein Kollege (Sprachwissenschaftler) mal dies erklärt hat, dass es solche Wörter gibt (der Fachausdruck dazu ist übrigens Onomatopoesie, falls ihr mal Klugscheissen wollt). Ich bin ganz überrascht, dass ich so ein Wort gefunden habe und beschäftige mich gedanklich die nächste Stunde mit solchen Wörtern (ich finde dann noch schweizerdeutsche Wörter wie “bääge”, “mööge”, “gigele”, etc). Dies lenkt mich ein wenig von der Kälte und Nässe ab.

Nach 138 Kilometern heute überquere ich bei Burgfelden die Grenze. Dabei bin ich ganz enttäuscht, dass da weder eine Französische noch eine Schweizerfahne steht. Einfach ein Betonklotz, that’s it.

Zeit seit Eiffelturm: 38 Stunden 56 Minuten

Von jetzt an geht es einfach. Hier kenne ich mich überall (wenigstens sehr grob) aus. Durch die Stadt Basel fahre ich entlang Radwegen nach Muttenz und Pratteln und biege dann ins Liestal ab. Dort mache ich dann einen kurzen Stopp und kaufe mir 4 Schoggistängeli und etwas zu trinken.

Nun geht es über den unteren Hauensteinpass. Für Schweizer Verhältnisse ist dies zwar nur ein Hügel, mit aber schon 180 Kilometer in den Beinen und Gepäck sind die folgenden 12 Kilometer doch noch anstrengend. Der Radweg mit bis zu 12% ist steiler als ich es erwartet habe. Meine Gangschaltung und Kette ist vom Dauerregen gezeichnet. Ab und zu schalte ich ins Leere, die Kette springt. Kurz versuche ich die Gangschaltung in Ordnung, doch der Schmutz von hunderten Kilometern und die Kälte haben alles komplett zubetoniert. So versuche ich so konstant wie möglich zu treten. Als ich oben am Hauenstein ankomme, bin ich froh – auch wenn es wieder beginnt zu regnen.

Auffahrt zum Hauenstein Pass

Zeit seit Eiffelturm: 41 Stunden 18 Minuten

Die Abfahrt hinunter nach Olten ist extrem kalt und nass. Gefühlt bis auf die Knochen bin ich durchnässt und vom Schmutz gezeichnet. Doch ich weiss, dass es nicht mehr so weit ist. Dies motiviert mich. Im Kopf rechne ich aus, wann ich zuhause bin. Als ich in Olten einfahre, trifft mich ein Schock: Ich habe Olten mit Zofingen verwechselt. Also sind es doch noch ein paar Kilometer mehr, als ich es mir erwünscht habe.

Nichtsdestotrotz gibt es nur eine Richtung und die heisst: Süden! Also schlage ich meine Gedanken rasch wieder aus dem Kopf und freue mich auf die restlichen 70 Kilometer.

Mein Knie beginnt wieder zu schmerzen. Wieder probiere ich verschiedene Sattelpositionen und Tretpositionen aus. Doch irgendwo vor Sursee greife ich zum Schraubenschlüssel und verändere die Sattelhöhe. Ich schalte paar Gänge runter und fahre gemütlich weiter. Als ich dann kurz später das erste mal ganz weit in der Ferne die Alpen erblicke, fühle ich mich schon fast zuhause:

Von da an ist es ein Heimspiel. Gemächlich fahre ich die letzten Kilometer und geniesse es. Auch wenn ich mitlerweile doch sehr entkräftet und nicht mehr so schnell unterwegs bin.

Erschöpft treffe ich dann am frühen Abend in Luzern ein – insgesamt 4 Stunden früher als erwartet. Ich freue mich auf die warme Dusche und gutes Essen.

Auch wenn es sehr anstrengend war, ich fühle mich fit und habe wieder sehr viel gelernt, was ich fürs Transcontinental Race brauchen kann.

Zeit seit Eiffelturm: 43 Stunden 55 Minuten

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