Paris 48 – Und ich fahr hier im Regen

Gestern bin ich eher schlecht als recht in Paris angekommen. Heute ist Regen angesagt – und sehr viele Kilometer. Mal schauen, was da so wird…

Der Wecker klingelt früh. Sehr früh für meine Verhältnisse. Nachdem ich einen Energieriegel als Frühstück hatte, packe ich meine Sachen und ich fahre kurz vor Sonnenaufgang los. Draussen fühlt es sich komisch an. Es ist alles immer noch so, wie vor ein paar Stunden als ich angekommen bin. Als wäre keine Zeit vergangen.

Die Strassen sind leer. Kein Wunder. Wer fährt auch am Samstag morgen noch vor Sonnenaufgang umher? In Dörfern torkeln vereinzelt Nachtschwärmer umher. Und schon bald werde ich mit einem schönen Farbspektakel am Himmel begrüsst:

Zeit seit Eiffelturm: 7 Stunden und 9 Minuten

Schon von Beginn weg, habe ich Gegenwind, bereits nach etwa 2 Stunden setzt der angekündigte Regen ein. Mit dem Regen habe ich gerechnet, mit dem Wind weniger. Trotzdem lasse ich meine Laune nicht verderben und geniesse die Fahrt durch die Morgenstunden entlang von gut duftenden und gelb leuchtenden Blumenfeldern, entlang von gigantischen Windrädern und durch dampfende Wälder.

Ich versuche die Pausen so kurz wie möglich zu halten, um “meinen Motor nicht abzustellen”. Dass ich keine Trinkflaschen dabei habe und mir unterwegs einfach kurz Wasser kaufe, macht sich bemerkbar. Einerseits habe ich Kopfschmerzen, andererseits fallen mir die Wasserflaschen bei Bodenwellen immer wieder aus der Halterung. Durch die kurzen Pausen bin ich gut im Zeitplan. In Troyes fülle ich mit einem kurzen Stopp nach 142 Kilometern kurz die nötigsten Energiereserven auf.

Kurz nach Troyes zweigt mein Weg von der Hauptstrasse auf einen angeblichen Radweg ab. Dies habe ich vor der Abfahrt mit Google Street View angeschaut. Es sollte aspahaltiert sein. Und es ist asphaltiert. Juhuu! Mich erwartet ein wunderschöner Radweg entlang vo Canal de Restitution bis zum Lac d’Orient, welchen ich umrunde. Das Wetter ist unbeständig, mal regnet es, mal nicht, mal windet es, mal nicht. Ich geniesse die wunderschöne Strecke und die fantastischen Radwege. Mutterseelenalleine und super gelaunt.

Lac d’Orient

Zeit seit Eiffelturm: 15 Stunden 22 Minuten

Ab La Rothière geht es wieder zurück auf normale Strassen. Obwohl das Dorf nur wenige hundert Einwohner hat, steht in der Dorfmitte ein gigantisches Denkmal, welches an eine Schlacht vom Winterfeldzug erinnert, bei welchem sich am 1. Februar 1814 insgesamt 120’000 Franzosen (unter Napoleon) und Russen sowie Preussen (unter Marschall Blücher) gegenüberstanden. Etwa 15’000 kehrten nicht von der Schlacht zurück. Nachdem die Franzosen den Rückzug angetreten haben, brach die Versorgung der französischen Armee ein. Viele Soldaten mussten hungern, desertierten und plünderten im Elend Bauernhöfe. Napoleon befahl darauf, die Deserteure einzusammeln und einen Teil davon zu erschiessen. Gebracht hat es nichts, zu viele waren bereits der Armee davongelaufen.

Nach diesem kurzen geschichtlichen Ausflug ging es für mich weiter via Bar-sur-Aubes. In Colombey-les-Deux-Églises trohnte ein mächtiges 44 Meter hohes Lothringerkreuz über der Strasse als Gedenkstätte für Charles de Gaulle.

Nach 250 Kilometern treffe ich in Chaumont ein. Nun ist es Zeit für etwas richtiges zu essen. Wobei “richtig” wohl das falsche Wort ist. Im McDonalds verdrücke ich so schnell wie möglich ein Hot Dog Menü. Als ich mich hinsetzte, merke ich wie langsam meine Bewegungen inzwischen sind. Vom stundelnangen Regen und der Kälte ist mein Körper durchnässt. Gemäss meinem ursprünglichen Planung würde ich jetzt noch etwa 50 km Fahren und dort ein Hotel buchen. ich fühle mich jedoch noch gut. So beschliesse ich noch etwa 80 km weiter bis nach Vesoul zu fahren. Online buche ich ein Hotel. Kurz vor der Abfahrt krame ich meine Regenjacke hervor. Nicht wegen dem Regen, sondern weil ich kalt habe. Richtig kalt.

Zeit seit Eiffelturm: 20 Stunden 4 Minuten

Als ich Chaumont verlasse, sehe ich ein Strassenschild “Vesoul 106 km”. 26 Kilometer weiter als ich es geplant habe. Shit. Der Regen prasselt nieder. “Tja, da musst du halt durch” denke ich mir und fahre weiter. Nach ein paar Minuten biegt mein Pfad links ab. Dabei werde ich fast von einem Auto überfahren, das mich trotz Neon-Leuchtweste und Rücklicht nicht gesehen hat. Höchstwahrscheinlich hat der Fahrer gerade am Radio oder Mobiltelefon rumgedrückt. Wieder komme ich auf eine Strasse entlang des Kanals.

Der Radweg hat ab und zu ein wenig Kies auf der Fahrbahn, doch ist es mir egal. Ich fahre ein wenig langsamer als auf der Strasse, dafür um einiges sicherer. Der Radweg entlang vom Canal Entre Champagne et Bourgogne ist idyllisch. Es ist still, ich höre lediglich den Wind und Vogelgezwischer. Und der Regen, welcher auf meiner Jacke plätschert. Neben Kopfschmerzen macht sich jetzt auch mein Knie bemerkbar. Ich versuche verschiedene Tretpositionen aus, ziehe ein wenig mehr in die oder die andere Richtung, bewege den Fuss. Irgendwie bringt dies alles nichts so wirklich. Also steige ich ab und stelle den Sattel hoch. Da mein Garmin Edge 520 (welches ich für Distanz und Geschwindigkeit nutze) langsam keinen Akku mehr hat, stecke ich es ans Akkupack. Und weiter gehts.

Als ich so ganz alleine dem Kanal entlang fahre, raschelt es ab und zu im Gebüsch. Mäuse, Enten, Fischreiher, Ratten… Alles mögliche. Doch was ich dann sehe, lässt mich erstaunen. Da schwimmt ein Reh im Fluss, keine 5 Meter neben mir. Genau in diesem Moment verabschiedet sich meine Actioncam, so kann ich es nicht auf Bild festhalten. Dadurch dass der Kanal künstlich ist, hat er links und rechts Metallwände. Das Reh versucht panisch da hoch zu kommen, schafft es aber nicht. Ein paar Hundert Meter weiter oben hat es eine Schleuse. Da sind die Metallwände weniger hoch sind. Da das Reh offensichtlich Angst von mir hat und sich nicht von mir greiffen lässt, beginne ich zu schreien und mit den Händen zu fuchteln. So kann ich es in diese Richtung treiben. Es hilft, nach ein paar Minuten klettert das Reh aus dem Nass und verschwindet in den Wald.

Ich bin langsam müde. So klappere ich die restlichen Kilometer ab und bin froh, als ich komplett durchnässt und durchgefrohren nach 358 Kilometern im Hotel eintreffe.

Zeit seit Eiffelturm: 24 Stunden 46 Minuten

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