Der erste Marathon war lustig. Aber irgendwie sind diese 42 km doch noch anstrengend.
“Der Marathon ist ein Wettstreit zwischen deinem Willen und deinen Möglichkeiten.” (Jeff Galloway)
Mit gemischten Gefühlen stand ich am Morgen auf. Ich hatte mich zwar durch die vielen Rennen mehr oder weniger vorbereitet (ich benutze absichtlich nicht das Wort “gut vorbereitet”, denn dies wäre gelogen). Im normalen Morgenstress verpasste ich den ersten Blockstart, machte mir jedoch nichts aus. Ich wusste, dass ich diese eh noch einholen werde *räusper*.
An der Startlinie ging alles sehr schnell. Startschuss und inmitten des Tumults. Am Strassenrand suchte ich nach Freundin und Verwandten, aber es waren einfach zu viele Leute. Irgendwie tat es mir leid, zu wissen, dass jemand am Morgen aufsteht und dann zottle ich einfach vorbei und sage nicht mal hallo. Aber das ist wohl ein Marathon. Die ersten paar Kilometer liefen sich ganz gut. Ich mag die Abwechslung beim Laufen: Zuschauer, spielende Musiker, Verpflegungsposten. Irgendwann in Kastanienbaum wurde es ein wenig ruhiger. Es ist ein cooles Gefühl, in einer grossen Gruppe von Menschen zu Laufen und ausser den Schritten und dem Athem kein Geräusch wahrzunehmen. Menschen dürften sich öfter so verhalten – von mir aus jeweils obligatorisch eine Stunde pro Woche am Donnerstag von 17:00 bis 18:00.
Zurück zum Rennen: Bei Kilometer 9 habe ich mit meiner Freundin (ein riesiges Dankeschön für die grandiose Unterstützung und Zuschauerkoordination!) einen Checkpoint in Horw abgemacht. Dies gab mir die Möglichkeit Kleider zu wechseln oder auf Individualverpflegung umzusteigen. Es war warm, also zog ich provisorisch mal die Jacke aus. Leider hatte es jedoch so viele Zuschauer, dass meine bessere Hälfte nicht zum abgemachten Checkpoint durchkam. Zudem war ich einiges zu schnell unterwegs – das Rennen fing ja gut an. Doch plötzlich sah ich zwischen all den Menschen ein wunderhübsches Gesicht und steuerte sogleich auf sie zu. Jacke abgeben und weiter ging das Rennen. Ich ärgerte mich, dass ich so schnell unterwegs war, jedoch liess es mein Kopf nicht zu, ein wenig Tempo rauszunehmen.
Es ging via Allmend in Richtung Stadtzentrum. Durch verwinkelte Strassen führte die Route ins KKL. Ich sah nur eine dunkle Höhle und drin empfing mich eine wundervolle lichtgeflutete Atmosphäre. Ich hatte ein richtig breites Lachen auf den Lippen. Doch keine Zeit zum geniessen, ist ja ein Rennen. Vorne Raus und weiter durch die Zuschauerschluchten. Das Tempo wurde schneller. Da die Halbmarathoner dem Ziel entgegenfieberten, liess ich mich von dem Tempo mitreissen. Macht ja schliesslich mehr Spass schnell vor Zuschauer durchzurennen, als zu schleichen, oder? Nach der scheinbar nie endenden Geraden war es soweit und ich bog für die Marathondistanz auf eine zweite Runde ab. Es hatte nicht mehr so viele Läufer unterwegs. So ging es einsamer weiter. Ehrlich gesagt, störte mich dies auch gar nicht. Nach gut 27 km folgte der zweite Checkpoint. Meine bessere Hälfte hat auf einem Ping-Pong-Tisch sämtliche Utensilien ausgelegt, sodass ich nur noch auswählen konnte, was ich auf die restlichen Kilometer mitnehmen wollte. Absolut grandioser 5-Sterne-Service.
Schon bald merkte ich, dass ich bei der ersten Runde massiv zu schnell war. Und ich ärgerte mich über mich selber. Dass ich es nicht einmal schaffe über ein paar Stunden meine Kräfte einzuteilen, wenn ich es doch problemlos auf 300km-Radtouren schaffe. Aber es gab nur einen Weg und der war richtung Ziellinie, wenn auch ein wenig langsamer als auf der ersten Runde. Ich begann zu kämpfen. Obwohl ich mir vornahm, an den Verpflegungsposten nicht stehenzubleiben, ertappte ich mich selbst, dass ich dort vermehrt kurz stehen blieb. Bei der Horwer Halbinsel entlang des Sees wurde es kühl. Ich hätte die Jacke doch vom zweiten Posten mitnehmen sollen! Also gab es nur eines: ruhig bleiben und sich auf die Schmerzen konzentrieren – das Lenkt ab. Irgendwann kam ein Perskindol-Verpflegungsposten. Der Helfer dort zog mich ein wenig wiederwillig aus dem Rennen und schmierte irgend ein Wundermittel auf meine Beine. Ich wusste zwar nicht was es war, aber es half.
Langsam wurde es kühl – und noch einsamer. Seit über 3 Stunden war ich nun unterwegs und die Energietanks waren leer. Zum Glück war der Name auf der Startnummer aufgedruckt, so feuerten tapfere Zuschauer die Läufer mit Namen an. Das war motivierend. An den Verpflegungsständen spürte man die Empathie der Helfer, die einen so gut wie möglich unterstützen. Die Emotionen spielten verrückt, wie ich es eigentlich nicht kannte. Am liebsten hätte ich grundlos geweint. Nicht wegen den Schmerzen, sondern weil der Körper die Emotionen von Freude, konstantem Stress und Konzentration fast nicht mehr aushielt. Ich war verwundert, so was zu erleben. Doch ich konzentrierte mich auf den nächsten und letzten Checkpoint mit meiner Freundin. Mittlerweile war ich masslos hinter dem Zeitplan. Ich hatte Angst, dass sie bereits Richtung Ziel ging, weil sie meinte, dass sie mich verpasst hat. Und tatsächlich: am abgemachten Ort war niemand zu sehen. Tja, shit happenz, aber das Rennen geht weiter. Ich versuchte mich mit mentalen Tricks bei Laune zu halten. Ich zählte Schritte und stückelte die Strecke in Mini-Abschnitte. Ich freute mich auf das Gefühl, die Ziellinie zu überschreiben. Auf das Bier danach.
Via Allmend ging es das zweite Mal in Richtung Stadtzentrum. Ich wurde von Pacemakern überholt, was mich ärgerte. Sie versuchten mich zwar zu motivieren, jedoch hatte ich keine Kraft mehr, das Tempo zu halten. Jeder Schritt war mühsam. Jeder. Einzelne. Schritt. Musste. Ich. Erkämpfen. Aber was solls: Auf der härtesten Etappen ans Nordkap habe ich gelernt, dass es immer weitergeht, egal was kommt. Die Allmend war langsam zu Ende und da hörte ich von weitem eine liebliche Stimme: mein Herzblatt! Die Motivation war innerhalb kürzester Zeit wieder voll da. In ihren Augen konnte ich sehen, dass sie mitleidet. Kurzer Worttausch und weiter gings. Doch nach wenigen Metern fuhr sie plötzlich mit dem Rad neben mir (es hatte fast keine Läufer mehr auf der Strecke, also wurde niemand am Laufen behindert). Um mich auf den letzten Kilometern zu motivieren, bekam ich sogar ein Ständchen gesungen. Das war unglaublich! Also ging es das letzte mal durchs KKL in die Altstadt.
Von hinten schlossen die 5-Mile-Runners langsam auf, welche ein paar Stunden später gestartet sind. Es war jedoch motivierend, wenn man mit dem einen oder anderen mithalten konnte. Nach der Altstadt ging es auf die laaaaange Zielgerade vom Schwanenplatz Richtung Verkehrshaus. Und das Verkehrshaus wollte nicht näher kommen. Mental hatte ich mitlerweile komplett abgestellt und ich funktionierte nur noch. Von weitem konnte ich den Speaker im Zielraum hören. Ist es das wirklich? Habe ich mein Ziel wirklich bald geschafft? Geilomat! Da ich vor gut 15 Kilometer meine letzten Kräfte mobilisiert habe, zottelte ich also gemütlich Richtung Ziel. Die letzten Kurven und ab auf den roten Teppich, wo mich meine Familie erwartete. Ein letzte Gerade und es war geschafft: Ich habe einen Marathon gemeistert! Obwohl ich weiss, dass man es nicht tun soll, konnte ich nicht anders, als mich kurz hinzusetzen.
Ich war mit meinen Kräften so am Ende, dass ich nicht mehr selber aufstehen konnte. So musste mir ein Samariter wieder auf die Beine helfen. Stolz nam ich die Medallie in Empfang und umarmte erstmal meine bessere Hälfte, ohne welche ich den Marathon höchstwahrscheinlich nicht geschafft hätte. Danke! Erst dann konnte ich lesen, was auf dem Schild stand, welches meine Verwandten gemacht haben: “Hopp Simon” – und die Werbefirma hat clever draufgedruckt: “Lächle, denn du hast dafür bezahlt”. Und ich lächelte…
Disziplin | Strassenlauf |
Distanz | 42.5 km |
Offizielle Zeit | 4:40:52,5 |
Rang Kategorie / von | 132 / 154 (58/100) |
Rang Overall / von | 1116 / 1291 (86/100) |
Kategorie | Marathon Männer M20 |