90 Prozent ist mental und der Rest ist Kopfsache. Ich hatte eine Etappe geplant, bei welcher ich gefordert werde. Das wurde ich – wenn auch ein wenig unfreiwillig.
Beginnen wir vorne: Nach einer (für meine Verhältnisse) sehr langen Nacht wurde ich von meinem Wecker um 05:45 geweckt. Meine Beine fühlten sich zu meinem Erstaunen komplett erholt an, woran ich nichts auszusetzen hatte. Der Tag wird heftig, das wusste ich. Nachdem das Frühstücksbuffet geplündert war, machte ich mich bereit. Da ich mit meinen Scheinwerfern ein wenig Probleme hatte, wollte ich das Tageslicht von 13 Stunden ausnutzen. Und es standen knapp 200 Kilometer und einige Höhenmeter auf dem Programm, da war der Tag ein Spiel gegen die Zeit.
Kurz nach der Abfahrt lief mein Navi zu Höchstleistungen auf: 200 Höhenmeter, welche komplett ins Jenseits führten. Nachdem ich bereits viele überfahrene Füchse gesehen habe, begegnete mir einer – und ein paar Spechte. Als mir Motocrossfahrer entgegen kamen, bekam ich bereits ein ungutes Gefühl. Dies bestätigte sich bald: Schlamm, hohe Kanten und Steine so weit das Auge reicht. Und dann der Super-Gau: das Navi findet den Weg (auf welchen es mich gerade gelotst hat) nicht mehr. Ich alleine in der Pampa. Grossartig. So stieg ich zu Fuss auf die nächste Strasse runter, welche ich sehen konnte. 10 Kilometer in einer Stunde. Auch Grossartig. Immerhin fand ich die Hauptstrasse und machte mich auf den Weg nach Langres. Auf einen weiten Weg…
Irgendwann als Langres nicht näher kommen wollte, schaute ich mal auf der Karte nach. Tatsächlich: mein Navi hatte es geschafft, einen 20 Kilometer-Umweg zu finden. Nochmals Grossartig. Über viele Hügel führte mein Weg trotzdem nach meinem ersten Zwischenhalt. Mit viel Verspätung in Langres (sehr sehenswert übrigens) angekommen, war erst mal Verpflegung angesagt. Und ich tat dies, so wie ich es im Ausland immer tue: einfach mal was bestellen, von welchem man keine Ahnung hat, was nachher serviert wird. War nicht schlecht, aber auch nicht sonderlich gut (konnte es irgendwie nicht richtig identifizieren, waren jedoch keine Schnecken).
Nach dem Mittagessen – gut 100 km waren bereits gefahren – kündigte mein Navi eine Reststrecke von 150 km an. 150! Da hatte ich die Schnauze voll und fragte mal meinen Freund Google. Und siehe da, er konnte gut 30 Kilometer einsparen. Alle wichtigen Ortschaften wurden herausgeschrieben und ab ging die Post. Wenn ich Troyes noch vor dem Eindunkeln erreichen wollte, musste ich ziemlich Dampf geben. Deshalb strich ich meinen zweiten Verpflegungspunkt einfach mal weg. Ich wusste, dass ich das körperlich durchstehe. Da ich jedoch doch den einen Höhenmeter und einige Kilometer in den Waden hatte, kamen Zweifel auf, ob ich das tatsächlich hinkriege. Da gibt es nur eine Devise: Braveheart, Baby! 🙂
Bald nach der Mittagspause bemerkte ich, dass die Kernkompetenzen von Frankreich nicht im Bereich des Strassenbaus liegen. Was mir teilweise unter die Räder kam, war nicht wirklich als Strasse zu bezeichnen, sondern eher als lange lineare Anordnung von Schlaglöchern. Die Verhältnisse bremsten mich markant aus und schüttelten mich ziemich durch. Pro Stunde musste ich so geschätzte 5-10 Kilometer hergeben. Umso mehr freute es mich, als ich eine frisch alsphaltierte Strasse antraf. Nachdem mein Navi als Heiratspartner nicht mehr in Frage kam, rückte diese Passage als potentieller Partner nach 🙂 Endlich konnte ich mal ein wenig Dampf geben. Nach etwa 10 Kilometer war der Spass aber auch vorbei. Als ich dann noch einen anderen Rennvelofahrer an einem Aufstieg überholte, war meine Motivation wieder voll da.
Nachdem die “Passhöhe” erreicht war, wusste ich, dass mich nun ein langer Abstieg nach Troyes erwartet. Doch der starke Gegenwind stand nicht auf der Bestellung. Und der Nieselregen auch nicht. Es ist unglaublich erniedrigend, wenn man bergab inklusive Pedalieren auf dem Liegelenker ‘liegend’ gerade mal 18 km/h auf dem Tacho hat. So wurde der Abstieg anstrengender als angenommen.
Kilometer 200. Und noch 25 standen auf dem Programm. Das Fehlen des zweiten Verpflegungspunktes machte sich langsam bemerkbar. Die Beine wurden schwerer und die Bewegungen langsamer. Und das Zeitfenster für das Tageslicht wurde immer enger. Jetzt war alles Kopfsache (die Band Mer2we hat übrigens mal einen gleichnamigen Titel rausgebracht, hörenswert). Die letzten Kilometer wurden einfach durchgerissen und das Hotel gefunden. Und als ich beim netten Gespräch mit der Receptionistin realisierte, dass mein Körper eigentlich nicht schmerzt, wusste ich: da würde noch viel mehr gehen 🙂
Mal schauen, wie fit ich am morgen nach der Zeitumstellung bin. Und dann geht es PARIS!
Und noch by the way: mit 225 Kilometern und 2581 Höhenmetern hab ich zwei neue persönliche Bestleistungen aufgestellt. Der ganze Statistikkram gibt es hier (die Akkus von Trittfrequenz- und Herzmesser habe sich nach 200 km verabschiedet).