Das letzte Jahr war das Morgarten Memorial der Hammer. Dieses Jahr war die Strecke schneller und noch knackiger.
Mit leicht müden Beinen von Tour de Suisse Challenge – Prolog gestern erwachte ich heute morgen. Es ist kurz vor 6 Uhr. Nach einem Frühstück schwinge ich mich aufs Rad und fahre zum Aufwärmen 25 Kilometer nach Baar. Die Hinfahrt nehme ich ein wenig zu gemütlich. So hole ich 15 Minuten vor dem Startschuss meine Startnummer: 2016. Was für eine geile Startnummer zur Tour de Suisse Challenge 2016! Alles montieren, umziehen, mit ein wenig Überzeugungsarbeit meine Wertsachen dem Besenwagen-Mann aufschnorren und ab an die Startlinie.
Und schon geht es los. Inmitten von über 400 anderen Fahrern mache ich mich auf die Strecke. Bereits nach wenigen hundert Metern sehe ich den ersten Pechvogel am Strassenrand mit einer gerissenen Kette. Da kommt mir in den Sinn, dass ich eigentlich meine Kette noch ölen wollte. Zu spät, der erste Aufstieg wartet schon. Die ersten 8 Kilometer geht es mit durchschnittlich 3.6% insgesamt 300 Meter in die Höhe. Da wird das Feld schon einmal richtig durchgesiebt. Ich weiss, dass hier sehr viel Zeit verloren werden kann, also drücke ich in die Pedale – trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, kurz ein Foto zu machen:
Oben angekommen spüre ich die müden Beine. Wie die Rehe ziehen die anderen an mir vorbei. Doch ich weiss, dass ich auf der Abfahrt wieder viiiiele Plätze gut machen werde. Die nächsten 5 Kilometer gehen wieder ganz nach unten. Ich lege mich auf den Vorderlenker, mache mich so klein wie möglich und arbeite mich von Kurve zu Kurve wieder nach vorne. Mit über 81 km/h donnern wir ins Tal. Unten in Baar angekommen bin ich ganz vorne und biege als Erster in die Kantonsstrasse nach Sihlbrugg ein. Die Zuschauer jubeln, als wir mit über 40 km/h um den Kreisel fahren. Ich versuche so viel viel Tempo wie möglich in den Gegenanstieg mitzunehmen und Trete voll in die Pedalen. Doch nach 10 Sekunden bei durchschnittlich 796 Watt ist bambam. Ich lasse mich ablösen und fahre im Windschatten hoch nach Sihlbrugg. Die Strasse steigt zwar nur leicht an, doch der Anstieg ist gnadenlos. Bei einem Kreisel in Sihlbrugg sehe ich zu spät, dass wir abbiegen müssen. Ich reisse mich noch um die Kurve und schalte panisch nach unten, weil die Strasse steiler ansteigt. Vorne und hinten gleichzeitig schalten ist oftmals die schlechteste Idee. Die Kette fliegt raus, ich zirkle mich durch die Fahrer an den rechten Strassenrand und fluche wie ein Rohrspatz.
Die Kette hat sich verklemmt. Ich steige ab und drehe die Pedalen zuerst in die eine, dann in die andere Richtung. Doch der Kette scheint dieser Ort zwischen Rahmen und Kettenblatt zu gefallen. Nach geschlagenen 2 Minuten und 50 Sekunden steige ich zurück aufs Rad. Das Favoriten-Feld ist weg, ich mache mich alleine auf die weitere Strecke. Eigentlich dachte ich, dass ich bis nach Türlen durchbeisse und mich dann in den Windschatten vom Favoriten-Feld hänge. Dieser Plan geht nicht auf. Ich fahre einsam 14 Kilometer entlang vom Albis bis ich in Aeugst am Albis durch Bergpreis-Tor fahre. Dort gibt es einen Verpflegungsposten. Bei voller Fahrt schnappe ich mir eine Wasserflasche und freue mich auf den Rest der Strecke. Denn von hier bis ans Ziel geht es hauptsächlich nach unten.
Vom Zeitfahren weiss ich, dass man mit einer aerodynamischen Position sehr viel Geschwindigkeit rausholen kann. Also verbringe ich die meiste Zeit mit meinen Armen liegend auf dem Lenker. Das ist für den Oberkörper anstrengend, doch man wird schnell. Da ich nicht vom Windschatten anderer profitieren kann, habe ich den Kopf meistens unten. Auf den langen Geraden sehe ich, dass ich mich langsam einem grösseren Fahrerfeld von hinten nähere. Ich komme langsam näher, doch verbrauche sehr viel Energie. Mittlerweile fahre ich seit fast 40 Minuten oder 25 Kilometern komplett alleine. In meinen Beinen spüre ich das Rennen von gestern, der Oberkörper ist langsam erschöpft. Irgendwie komme ich nicht an die Gruppe heran. Als ich nach hinten sehe, stelle ich fest, dass sich eine grosse Gruppe langsam nähert. Nun kann ich entweder das Tempo drosseln, um nachher vom Windschatten zu profitieren oder voll Karacho weiterfahren. Ich entschliesse mich für letzteres und trete in die Pedalen.
Auch wenn ich es nicht sehe, fühle ich, dass das Pelton von hinten aufschliesst. Nach Rossau fahre ich auf der Knonauerstrasse mit knapp 60 km/h bergab. Ich liege auf dem Lenker. Der Nacken schmerzt. Für einen kurzen Moment schaue ich nach unten. Da schreit jemand von hinten sich die Seele aus dem Leib “AUTO!”. Ich sehe nach oben und mir kommt ein Auto entgegen, direkt auf mich zu – auf der abgesperrten Strecke. Da die Strecke ansonsten super abgesperrt ist, habe ich damit nicht gerechnet. Zum Bremsen bleibt keine Zeit, im letzten Moment kann ich noch ausweichen. Mein Puls schnellt in die Höhe. Das war knapp, aber so richtig. Ich spüre, wie das Adrenalin in jeder Faser des Körpers ist. Und bevor ich mich von diesem Schock erholt habe, hat mich das Feld eingeholt.
Ich fahre vorne mit, danke meinem Retter, der mich vor dem Auto gewarnt hat. Das Fahrerfeld macht richtig Tempo. Bis ins Ziel sind es noch etwas mehr als 10 Kilometer. Die Fahrweise ist nervös, keinen Zentimenter wird sich geschenkt. Wie aggressiv gefahren wird, merke ich zwischen Steinhausen und Baar, wo ich kurz einen Ausflug in die Wiese machen muss. Jemand schwankte, ein zweiter wich aus und da war keine Strasse mehr für mich übrig. Ich reihe mich wieder im Feld ein und fahre die letzten paar Kilometer nach Baar. Dass der Schlussspurt nicht zu unterschätzen ist, weiss ich seit gestern. Inzwischen sind meine Beine wieder ein wenig fitter. Also beschliesse ich, mich nach vorne zu kämpfen. 300 Meter vor dem Ziel ganz vorne sein und bei 100 Meter die letzte Kraft zu mobilisieren. Soweit der Plan.
Die Strassen werden eng und kurvig. Das Feld besteht aus etwa 40 Fahrern. Durch meinen Ausflug ins Grüne bin ich weiter hinten als geplant. Soweit es geht, kämpfe ich mich nach vorne. Doch auf der Zielgerade sind die Rangkämpfe vorbei. Ich versuche mich zwar noch nach vorne zu schieben, doch ist es schlicht zu eng und zu riskant, noch weiter nach vorne zu kommen. Da habe ich falsch gepokert. Ein wenig frustriert über den verpassten Zielsprint rolle ich ins Ziel.
Durch die verlorene Zeit durch den Zwangsstopp bei Sihlbrugg habe ich einige Plätze verloren und mich dadurch “nur” im vorderen Drittel klassieren können. Trotz der verlorenen fast 3 Minuten hätte ich als Frau das Rennen gewonnen – also war meine Zeit doch nicht ganz so schlecht.
Im Ziel gab es noch ein Interview mit Radio Central:
Disziplin | Massenstart |
Distanz | 57.7 km / 747 hm |
Offizielle Zeit | 01:38:35.7 (35.0 km/h) |
Rang Kategorie / von | 48/ 104 (46/100) |
Rang Overall / von | 127 / 418 (30/100) |
Kategorie | Masters 1 |
Fahrrad | Trek Domane 4.5 |