Simon Infanger radelte mit dem Velo von Luzern ans Nordkapp. In 28 Tagen. Teilweise legte er dafür 250 Kilometer an einem einzigen Tag zurück. «Das war mein Ferienguthaben. Ich durfte nicht länger haben», lacht der 30-Jährige. Jetzt hat er ein neues, noch verrückteres Projekt.
Simon Infanger, du fuhrst in 28 Tagen von Luzern ans Nordkap. Warum?
Simon Infanger: Ich war Jahre zuvor in Kilpisjärvi, ganz im Norden Finnlands. Vom «Hausberg» Salla-Fjell genoss ich die Aussicht und schwor mir, dass ich genau hierhin noch einmal kommen will. Irgendwann kam die Idee mit der Veloreise. Aber ich kann meinen Freunden ja nicht sagen: Ich fahre nach Kilpisjärvi. «Ich fahre ans Nordkap» klingt besser und ist jedem ein Begriff. (lacht)
Wie weit liegt denn das Nordkapp da noch entfernt?
Knapp 600 Kilometer. Also eigentlich in der Nachbarschaft, wenn man sich die Gegend da oben vorstellt.
Warum hast du dich so stressen lassen und dir nur 28 Tage Zeit gegeben?
(lacht) Ich hatte nicht mehr Zeit zur Verfügung! Das war mein Ferienguthaben. Ich musste einen Weg finden, wie ich die rund 5000 Kilometer bis ans Nordkap in dieser Zeit absolvieren kann.
Es ist eine einfache Rechnung. Würde ich ohne Pause durchfahren, müsste ich im Schnitt gut 180 Kilometer täglich absolvieren. Ich streute vier Ruhetage ein, dafür musste ich zwölfmal über 200 Kilometer absolvieren. Die längste Etappe war 248 Kilometer lang.
250 Kilometer am Tag, das erfordert viel Training. Wie hast du dich vorbereitet?
Ich fuhr viel Velo. Allerdings absolvierte ich vor der Testfahrt nach Paris gut drei Monate vor dem Start nie mehr als 136 Kilometer an einem Tag.
«Es war die Vorstufe zur Hölle.»
Man muss ein bisschen verrückt sein, wenn man sich dann plötzlich solche Distanzen zutraut.
(lacht). Vielleicht. Ich wollte das Projekt ursprünglich – auch aufgrund des knappen Zeitbudgets – auch mit dem Elektrovelo absolvieren. Es war eigentlich alles vorbereitet. Aber dann gibt’s da diesen einen Abschnitt von 205 Kilometern in Finnland zwischen Muonio (ca. 400 Einwohner) und Kilpisjärvi (ca. 100 Einwohner) quer durch Lappland. Da hat’s einfach nichts. Ich hätte ca. drei der grossen Akkus für das Velo mitnehmen müssen (die Planung lief 2012). Das ging nicht.
Diese langen Etappen waren dann wohl auch die grösste Herausforderung?
Auf jeden Fall. Gepaart mit Monotonie, vor allem in Schweden. Da oben hat’s einfach nichts zwischen den Orten. Das ist nicht so wie hier in der Schweiz, wo immer mal wieder ein paar Häuser stehen. Du fährst einfach 200 Kilometer geradeaus durch einen Wald. Und am nächsten Tag nochmals. Und am Tag darauf ebenfalls. Oft musste ich entscheiden: Mache ich heute 150 oder 250 Kilometer? Dazwischen lag einfach nichts.
Wie gingst du bei der Planung vor?
Ich plante die Strecke und unterteilte sie dann in «machbare» Abschnitte. Die Unterkünfte buchte ich im Voraus. Daher «musste» ich mich dann auch an den Plan halten. Das klappte immer bis auf einen Tag in Schweden. Die Ortschaften sind da sehr weitläufig und einmal buchte ich in den Bergen das Hotel weit ausserhalb. Da fand ich glücklicherweise eine andere Unterkunft.
«Lass dir von anderen Leuten nicht sagen, was du nicht kannst.»
Hattest du körperliche Beschwerden?
Ich entwickelte eine unglaubliche Leidensfähigkeit. Aber ja, ich kam ganz klar an meine Grenzen. Am brutalsten war der eine Tag in Schweden zwischen Sundvsall und Ornsköldsvik. 175 Kilometer bei heftigem Regen sowie Seiten- und Gegenwind. Es war die Vorstufe zur Hölle. Ich kam nach zehn Stunden komplett entkräftet, durchnässt und frierend im Hotel an. Zu Essen gab es nichts. Ich hatte keine Kraft mehr und fuhr im Taxi zum Supermarkt. Der Taxifahrer sah die Essensmenge und fragte, ob ich eine grosse Party schmeisse. (lacht)
Lass dir von anderen Leuten nicht sagen, was du nicht kannst. Und wage es, deine eigenen Träume und Visionen umzusetzen. Am Ende zählen nicht die Pläne, die du hattest, sondern nur das, was du tatsächlich gemacht hast.
Und was macht das Velofahren im hohen Norden aus?
Die Einsamkeit in der Tundra, die Gerüche. Der Wandel der Umgebung und zu merken, wie klein man auf der Welt ist.
Stimmt. Während meiner Studienzeit trug ich einen langen Bart und noch längere Haare. Nicht selten erschien ich im Ledermantel in der Vorlesung. Ich habe viel Musik gemacht und in einer Metal-Band gespielt.
Wie fing das dann an mit dem Velofahren?
Nun, eigentlich bin ich immer Velo gefahren. Aber der Drahtesel war für mich einfach ein Mittel zum Zweck, um in Luzern von einem Ort zum anderen zu kommen.
Das war 2010. Aus irgendeinem Grund musste ich von Luzern nach Sursee. Das sind zwar nur rund 25 Kilometer, aber mir erschien das unendlich weit. Das war auch noch mit langen Haaren. (lacht)
Wie ging es danach weiter?
Wenig später musste ich nach Härkingen, das gut 60 Kilometer von Luzern entfernt liegt. Ich hatte ein «Chrüppel-Citybike» und eine Art Velohose. Von der richtigen Ernährung hatte ich keine Ahnung. Auf der Rückfahrt lief ich in einen brutalen Hungerrast. Ich suchte ein Restaurant, aber war fast zu schlapp, um zu essen. Erst zwei Tage danach war ich wieder erholt.
«Ich hatte ein ‹Chrüppel-Citybike› und eine Art Velohose.»
Warum hast du da nicht wieder aufgehört?
Ich weiss es nicht. Es hatte mich wohl trotzdem gepackt. Ich fand die Vorstellung schön, dass ich einfach irgendwo hin fahren kann. Ich besorgte mir einen billigen Velocomputer und von da an ging es immer weiter.
Aufhören wirst du auch jetzt nicht, im Gegenteil. Du planst etwas noch Verrückteres.
Ich fahre das Transcontinental Race. Ein Selbstversorger-Rennen von Belgien quer durch Europa nach Griechenland. Es ist eines der härtesten Ultra-Distance-Rennen in der Velowelt. Im letzten Jahr haben sich über 1000 Interessierte gemeldet – und sich durch den ultra-harten Fragebogen gekämpft. Einen Startplatz erhielten 350, am Start waren 200, im Ziel weniger als 150. Man hat vier Checkpoints und man legt auf knapp 4000 Kilometern 40’000 Höhenmeter zurück. Verpflegung und Unterkunft muss alles vor Ort selbst organisiert werden.
Wann geht es los?
Am 28. Juli um 22 Uhr. Ich bin jetzt noch im Training. In diesem Jahr legte ich schon 8000 Kilometer zurück und bewältigte ca. 65’000 Höhenmeter, so viel wie nie zuvor. Ich bin diesen April in 43 Stunden im Dauerregen von Paris nach Luzern gefahren (650 km). Ich glaube, ich bin bereit. Aber bei so einem Rennen kann man das eh nie sagen. Da kann so viel passieren.
Und auch hier die gleiche Frage, wie beim Nordkap-Projekt: Warum?
Es hat mich gereizt. Ich machte bei der Startplatzauslosung mit und hatte Glück. Da konnte und wollte ich nicht mehr zurück. Allerdings liess sich das Rennen nicht ganz mit meinem Job vereinbaren. Ich habe darum jetzt einen neuen Arbeitgeber.